Rathaus der Gemeinde Reichelsheim

Der Bürgermeister informiert

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Liebe Reichelsheimerinnen und Reichelsheimer,

einige Rückfragen zum Thema Grundsteueranpassung haben mich erreicht. Deshalb möchte ich Ihnen, um Transparenz zu schaffen, die Beweggründe dafür erläutern.

1. Ziel der Reform: Aufkommensneutralität – aber nicht für den Einzelnen

Die Grundsteuerreform, die zum 1. Januar 2025 wirksam wurde, verfolgte das Ziel, durch die Einführung neuer Bewertungsgrundlagen eine verfassungsfeste und gerechtere Verteilung des Steueraufkommens sicherzustellen. Im Zentrum stand dabei die sogenannte „Aufkommensneutralität“. Diese bezieht sich jedoch ausschließlich auf das Gesamtsteueraufkommen der Kommune – nicht auf die individuelle Steuerlast einzelner Grundstückseigentümer.

Durch das neue hessische Flächen-Faktor-Modell treten erhebliche Verschiebungen auf: Je nach Grundstücksgröße, Bebauung und Lage kann es sowohl zu Entlastungen als auch zu Mehrbelastungen kommen. Dass dieser Umstand in der öffentlichen Kommunikation vielfach nicht ausreichend erläutert wurde, hat nach meiner Einschätzung zu nachvollziehbarer Verunsicherung geführt.


2. Entscheidung vom November 2024: Senkung auf 456 % auf Basis der Landesempfehlung

Die Entscheidung der Gemeindevertretung, den Hebesatz zum 1. Januar 2025 zunächst auf 456 % abzusenken, erfolgte auf Grundlage der damaligen Empfehlungen des Hessischen Ministeriums der Finanzen. Diese sehr pauschale Empfehlung ging davon aus, dass die vorgeschlagenen Hebesätze geeignet seien, das bisherige Steueraufkommen aufkommensneutral zu erreichen.

Diese Empfehlung stellte alle hessischen Kommunen vor ein Dilemma: Einerseits wurde ein politisch verständlicher Wunsch nach Entlastung geweckt, andererseits war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die tatsächliche Datenlage unvollständig. Insbesondere waren die vorliegenden Daten der Finanzämter nicht belastbar – nicht zuletzt, weil dort bis heute eine erhebliche Anzahl an Widersprüchen anhängig ist.

Vor diesem Hintergrund wurde unter Beachtung der haushaltsrechtlichen Vorgaben und in enger Abstimmung mit beiden Fraktionen die Senkung auf die Landesempfehlung beschlossen – verbunden mit dem Hinweis, dass eine spätere Nachsteuerung möglich sei.


3. Rückwirkende Anhebung auf 756 % zum 1. Januar 2025

Im ersten Quartal 2025 wurde leider deutlich, dass die durch den Haushaltsplan unterstellten Einnahmen aus der Grundsteuer nicht ausreichen, um den Haushaltsausgleich zu sichern. Die rückläufige Gewerbesteuer – verursacht durch zunehmende Firmenschließungen, Umsatzeinbußen und Kurzarbeit, sowie Gewerbesteuerrückzahlungen im sechsstelligen Bereich – verschärfte die Lage zusätzlich. Die Gründe für diese erheblich angespannte volkswirtschaftliche Lage können wir seit Monaten jeden Tag in den Nachrichten verfolgen.

Die Kommunalaufsicht hat uns im Rahmen der Haushaltsplanung auch unmissverständlich deutlich gemacht, dass ohne eine Hebesatzerhöhung keine Genehmigung erteilt werden kann. Ein strukturell nicht ausgeglichener Haushalt hätte zur Folge, dass freiwillige Leistungen eingeschränkt oder laufende und notwendige Investitionen gestoppt werden müssten.


4. Rückblick auf 2024

Schon im Jahr 2024 war eine Anhebung des Hebesatzes in der Diskussion. Die Gemeindevertretung entschied sich seinerzeit jedoch bewusst für die Absenkung auf Grundlage der Landesempfehlung, um zunächst die realen Steuerwirkungen auf Basis der neuen Bescheide abzuwarten. Diese Entscheidung war aus politischer Sicht nachvollziehbar – aus heutiger Sicht jedoch haushaltswirtschaftlich zu zurückhaltend.

Die jetzt notwendig gewordene Nachjustierung ist daher nicht Folge fehlender Seriosität, sondern Ergebnis einer Abwägung unter sehr unsicheren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und auf Basis der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Datenlage.


5. Ausblick

Die Rückwirkung der Hebesatzerhöhung bewegt viele Bürgerinnen und Bürger – und das zu Recht. Die Reform der Grundsteuer ist komplex, ihre Auswirkungen oft nur schwer nachvollziehbar. In wirtschaftlich angespannten Zeiten werden zusätzliche Belastungen besonders sensibel wahrgenommen.

Dabei ist es wichtig zu verstehen: Im Rahmen der kommunalen Haushaltswirtschaft wird nicht nur das laufende Haushaltsjahr beschränkt betrachtet. Vielmehr ist im Rahmen der mittelfristigen Ergebnis- und Finanzplanung ein zusätzlicher Zeitraum von vier Jahren abzubilden. Die Kommunalaufsicht bewertet heute also strukturelle Entwicklungen über mehrere Jahre hinweg. Ein einfaches Verschieben notwendiger Maßnahmen ins Folgejahr ist daher keine tragfähige Option.

Unser Ziel war es, einen Haushalt aufzustellen, der genehmigungsfähig ist und gleichzeitig die Belastungen für Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, in einem vertretbaren Rahmen hält. Ohne die Anpassung der Hebesätze hätten wir ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen müssen – verbunden mit massiven Konsolidierungsmaßnahmen. Dies hätte nicht nur tiefgreifende Einschnitte bedeutet, sondern wäre auch mit einem teilweisen Verlust unserer kommunalen Selbstverwaltung verbunden gewesen.

Ich danke allen für die Rückmeldungen zu diesem Thema und lade Sie ein: Kommen Sie bei weiterem Gesprächsbedarf gerne auf mich zu. Der direkte Austausch ist mir wichtig!

Ihr Bürgermeister

Stefan Lopinsky